Therapie bei und Bewältigung von Schmerzen

 

Untersuchungen zeigen, dass mindestens ein Drittel aller erwachsenen Deutschen unter wiederkehrenden Schmerzen leidet, wobei Kopfschmerzen (insbesondere Migräne und Spannungskopfschmerzen) sowie mit dem Rücken zusammenhängende Schmerzen am häufigsten vorkommen. Auch bei Kindern treten zunehmend Schmerzzustände auf.

 

Wir sind es gewohnt, bei akuten Schmerzen die Zähne zusammenzubeißen oder bei länger andauernden Schmerzen einen Arzt aufzusuchen und eine Behandlung gegen die Schmerzen zu beginnen. Neben der ärztlichen und medikamentösen Behandlung von Schmerzen gibt es psychologische Wege, Schmerzen zu bewältigen. Im Folgenden wird beschrieben, warum Schmerzen mit unserer Psyche zu tun haben und wie sie beeinflusst werden können.

 

Als Alarmsignal des Körpers haben akute Schmerzen eine lebenswichtige Funktion. Wenn der Schmerz aber immer wiederkehrt, verschwindet häufig diese Warnfunktion. Chronische Schmerzen mit vielen Begleiterscheinungen sind entstanden. "Seelisch bedingter Schmerz" oder "Psychogener Schmerz" ist häufig die Diagnose, wenn ein Facharzt mit seinem Wissen nicht weiter weiß. Dies heißt doch aber auch, dass "normale" Schmerzen als ein rein körperliches Phänomen gesehen werden. Hier wird hingegen die Annahme vertreten, dass Schmerzen immer sowohl einen körperlichen als auch einen seelischen Anteil haben. Beide Anteile gilt es bei einer Hilfestellung zu berücksichtigen. 

Beispiele zum Schmerzerleben

Lange Zeit glaubte man, dass man Schmerzen mit einer Klingelanlage vergleichen kann. Eine Klingelanlage funktioniert folgendermaßen: 

 

1.    Es gibt einen Auslöser, den Klingelknopf, 

2.    einen Draht, der den Strom weiterleitet und

3.    eine Klingel, die Alarm schlägt.

Bleiben wir bei diesem Modell, so lässt sich weiterhin annehmen, dass die Dauer des Drückens auf den Klingelknopf die Dauer des Alarms der Klingel einzig und allein beeinflusst. Je länger wir also drücken, umso länger dauert der Alarm.

 

Überträgt man dieses Modell auf das Schmerzerleben so geht man von folgender Annahme aus:

      1.     Es gibt einen Schmerzreiz irgendwo im Körper, z.B. im Rücken,

      2.    Nervenfasern, die den Schmerz über das Rückenmark zum Gehirn weiterleiten und

      3.    den Schmerz, den wir durch die "Klingel in unserem Gehirn" spüren.

Wenn wir bei diesem Modell bleiben, so lässt sich auch hier folgern: Je länger der Schmerzreiz dauert oder je intensiver der Schmerzreiz an der Stelle im Rücken ist, umso stärker erleben wir den Schmerz. Dieses Modell geht auf den Franzosen R. Descartes (17. Jahrhundert) zurück. Von diesem Modell ging man beim Verständnis des Schmerzes sehr lange aus. Die folgenden Beispiele verdeutlichen jedoch, dass es so einfach nicht ist:

 

 

In der angespannten Konzentration, das Fußballspiel zu gewinnen oder die Gartenarbeit noch vor dem Beginn des großen Regens beenden zu können, hat man den Schmerz oder die Verletzung erst gar nicht wahrgenommen. Erst später in Ruhe stellt sich der Schmerz ein.

 

Viele Schmerzpatienten kennen folgendes Phänomen: Es passiert etwas Unerwartetes, ein plötzlicher Besuch oder ein Schreck und nach einiger Zeit fällt auf, dass man den Schmerz gar nicht wahrgenommen hat.

 

Auch die Konsequenzen, die eine schmerzhafte Verletzung nach sich zieht, haben einen Einfluss auf das Erleben. Ein kleines Kind, dass von seinem Vater oft Zuwendung bekommen hat, wenn es sich weh getan hat, wird wahrscheinlich die Nähe des Vaters suchen, wenn es Schmerzen spürt. Wenn der Vater nicht im Raum ist, könnte es passieren, dass das Kind einfach weiterspielt. Schmerzverhalten ist nicht angeboren, sondern von Lernprozessen abhängig.

 

Ein amerikanischer Nervenarzt beobachtete im Zweiten Weltkrieg, dass im Kampf schwer verwundete Soldaten relativ selten über Schmerzen klagten und nur etwa jeder Dritte nach Schmerzmedikamenten verlangte. Dies stand in deutlichem Kontrast zu seiner Praxis, wo Patienten mit ähnlich starken Verletzungen in 80 % der Fälle Schmerzmedikamente wollten. Er konnte dieses Phänomen folgendermaßen erklären: beim verwundeten Soldaten waren die Schmerzen eine Möglichkeit, dem Kampfgeschehen zu entfliehen verbunden mit Erleichterung; die Patienten in seiner Praxis erlebten die Schmerzen hingegen als entmutigend und unheilvoll. An diesem Beispiel lässt sich sehr gut beobachten, wie sehr die Bedeutung der Schmerzen einen Einfluss auf die Gefühle und Verhaltensweisen hat.

Sie sehen an diesen Beispielen, dass es Einflussfaktoren auf den Schmerz gibt, die mit dem Klingelknopfmodell allein nicht zu erklären sind.

 

Ein erweitertes Modell des Schmerzes

Jahrhunderte lang galten religiöse Erklärungen als wichtiger Zugang zum Schmerzerleben, z.B. die Vorstellung der göttlichen Bestrafung in Form harter Prüfungen oder Schmerzen. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten dann ein Psychologe (Ronald Melzack) und ein Arzt (Patrick Wall) die sogenannte "Gate-Control-Theorie", die besagt, dass Schmerzinformationen auf dem Weg von der gereizten oder geschädigten Stelle über Schaltstellen (mit Toren vergleichbar; gate = Tor) zum Gehirn wandern, wo der Schmerz dann wahrgenommen wird. An diesen Toren werden die Schmerzinformationen durch andere Informationen aus dem Körper verstärkt oder abgeschwächt. So kommen zum Beispiel Informationen über den Grad der Muskelanspannung in den Armen zu den Schmerzinformationen hinzu. Verspannte Arme können den Schmerz eher verstärken, entspannte Arme können den Schmerz eher abschwächen. Auch vom Gehirn gibt es Bahnen zu diesen Toren, die durch ihre Information Schmerz wiederum beeinflussen, so dass auch die Bedeutungsgebung des Schmerzes eine Rolle spielen kann: ein Mädchen kann die erste Regelblutung als Herausforderung oder als etwas Bedrohliches erleben, und wahrscheinlich hat dies eine Auswirkung auf die erlebten Schmerzen. Auch die vegetative Situation eines Menschen hat über die Schaltstellen einen Einfluss auf das Schmerzerleben: nervöse Unruhe oder Angst lassen Schmerzen eher stärker werden. Die "Gate-Control-Theorie" hat wesentlich zum Verständnis des Schmerzerlebens beigetragen. Neuere sogenannte kybernetische Modelle berücksichtigen noch mehr die Komplexität von Regelungskreisläufen und Rückkopplungen, die im Körper ablaufen.

 

Beeinflussungsfaktoren des Schmerzerlebens

 

Aus den obengenannten Modellen und zurückliegenden Forschungen lassen sich Faktoren ableiten, die zum einen Schmerzen
  • eher verstärken: z.B. Unruhe, Ängste, Niedergeschlagenheit, Einsamkeit;
  • eher abschwächen: z.B. Entspannung, Ablenkung, Akupunktur. 

Häufig entsteht ein regelrechter Teufelskreis aus Schmerzen, Anspannung und schlechtem Befinden. Starke Kopfschmerzen führen möglicherweise zu depressiver Stimmung mit wiederkehrenden Gedanken wie zum Beispiel: "Das hört wohl nie wieder auf." oder "Ich verliere noch meine Stelle, wenn das so weitergeht." Es kann sein, dass diese Gedanken wiederum die Schmerzen verstärken, andererseits aber auch zu mehr Muskelanspannung führen. Wenn sich jemand verkrampft, kann dies wiederum die Schmerzen verstärken. Schon bald "beißt sich da die Katze in den Schwanz".

Zusätzliche Faktoren wie Verschleppung der Schmerzen, falsche Behandlung oder Arbeitsunzufriedenheit können die Schmerzen verschlimmern und chronifizieren. Hier stellt sich die Frage, wie sich ein solcher Aufschaukelungsprozess neben den bekannten Möglichkeiten wie die Einnahme von Schmerzmitteln mit psychologischen Methoden behandeln lassen.

 

Psychologische Bewältigungsmöglichkeiten

Schmerzen haben auch immer eine alarmierende Funktion, so dass ein vollkommenes Wegblasen von Schmerzen nicht Ziel einer angemessenen Hilfestellung sein kann. Es geht vielmehr darum, Schmerzen zu lindern und Schmerzen besser zu bewältigen. Psychologische Techniken zur Bewältigung von Schmerzen setzen an folgenden Punkten an:

 

1. Nutzbarmachung von Entspannungsmöglichkeiten

Genauso wie bei Belastungen oder Stress können bei Schmerzen vegetative, körperliche Symptome wie beschleunigter Herzschlag, Schwitzen, flacher Atem oder Zittern auftreten. Hier setzen Entspannungsverfahren wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelentspannnung an, die dem Schmerz seine Grundlage im Vegetativen Nervensystem entziehen. Ein solches Entspannungstraining lässt sich am Besten in einer Gruppe erlernen.

2. Veränderung von schmerzverstärkenden Gedanken und Einstellungen durch Verhaltenstherapie

Die Schmerzen sind häufig von Gefühlen wie zum Beispiel Angst oder Hilflosigkeit begleitet. Ebenso können automatische Gedankenketten wie eine Lawine wirken, wo am Ende eine zwar nur gedankliche aber den ganzen Menschen betreffende Katastrophe steht. Die Verhaltenstherapie und die Kognitive Verhaltenstherapie bieten ein fundiertes Wissen, Einstellungen so zu verändern, dass sich damit einhergehend belastende Gefühle, Schmerzen und Verhaltensweisen in eine positive Richtung bewegen. Zu Beginn findet dabei eine gezielte Beobachtung der Schmerzen mit Hilfe eines Beobachtungsbogens statt. Da das Auftreten von Verhaltensweisen auch immer etwas mit den Folgen zu tun hat, wird ein Verhaltenstherapeut sich auch immer für Konsequenzen der Schmerzen interessieren. Er wird zum Beispiel fragen, wie der Partner oder die Familie auf eine Migräneattacke reagiert.

 

3. Hypnotherapie

Ein speziell in Hypnotherapie ausgebildeter Psychotherapeut kann mit dem Klienten zusammen ebenfalls durch Tranceerlebnisse die Schmerzen verringern helfen. Aber auch ein Hypnotherapeut kann Schmerzen nicht ganz wegzaubern. Er kann helfen, durch spezielle Techniken - die jemand dann auch in Selbsthypnose anwenden kann - Schmerzen abzuschwächen, auszublenden oder anders wahrzunehmen. Ein Fakir schafft dies zum Beispiel ganz bewusst, wenn er sich einen Dolch durch seinen Körper stößt. Er geht in eine kurze Trance und kann so die Situation bewältigen.

"Mir geht es nicht gut," sagte die Seele, "aber der Mensch hört nicht auf mich." 

"Dann lass mich krank werden", sagte der Körper, "dann muss er auf Dich hören."

Johann Wolfgang von Goethe (Schriftsteller, 1749 - 1832)